Sachverhalt
Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, ist seit 2008 Geschäftsführer einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft, an der er zur Hälfte beteiligt ist. Im Streitjahr 2011 verlegte er seinen Wohnsitz vom Inland in die Schweiz. Das beklagte Finanzamt unterwarf die Wertsteigerung des Anteils an der Kapitalgesellschaft, die sog. stillen Reserven, im Inland der Besteuerung. Es setzte einen fiktiven Veräußerungsgewinn nach dem AStG unter Berücksichtigung des Teileinkünfteverfahrens in Höhe von 113.645 € fest. Der Wegzug führe zur zeitlichen Vorverlagerung der Einkommensteuer auf den Gewinn aus einer (möglichen) Veräußerung des Anteils an der Kapitalgesellschaft. Die Steuer hierauf sei nicht zinslos, unbefristet und ohne Sicherheitsleistung bis zum Verkauf der Anteile zu stunden. Stundungsmöglichkeiten bestünden lediglich bei einem Wegzug in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Die Gefahr einer Doppelbesteuerung bestehe nicht. Eine Veräußerung der Anteile an der Kapitalgesellschaft unterliege in der Schweiz nicht der Besteuerung.
Hierzu führten die Richter des FG Baden-Württemberg weiter aus:
- Im Streitfall kann sich der Kläger auf das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Schweiz über die Freizügigkeit (FZA) berufen. Das Abkommen enthält ein Diskriminierungsverbot.
- Die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten ist auf die im FZA normierten Freizügigkeitsrechte im Verhältnis zur Schweiz übertragbar.
- Die Niederlassungsfreiheit, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die allgemeine Freizügigkeit stehen jeder Maßnahme entgegen, die geeignet ist, die Ausübung derselben zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.
- Die Wegzugsbesteuerung hat für den Kläger, der seinen Wohnsitz von Deutschland in die Schweiz verlegt hat, zumindest abschreckende Wirkung. Er hat nach nationalem Recht einen nicht realisierten Gewinn im Zeitpunkt des Wegzugs zu versteuern.
- Die Besteuerung kann zwar gerechtfertigt sein, da sie eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nach dem Territorialitätsprinzip, verbunden mit einer zeitlichen Komponente sicherstellt.
- Zwar erstreckt sich die Besteuerungsbefugnis lediglich auf die Wertzuwächse, die im deutschen Hoheitsgebiet in dem Zeitpunkt erzielt worden sind, in dem der Kläger im Inland ansässig gewesen ist.
- Die sofortige Einziehung der Steuer ist jedoch nicht verhältnismäßig. Eine automatische zeitlich unbegrenzte Stundung bis zur Realisierung der Gewinne kann ein milderes Mittel darstellen.
Hinweis: Das Verfahren ist beim EuGH unter dem Az. C-581/17 anhängig.